5.2.18 Die „rauchlose Siedlung“ in Steglitz oder: Wer war eigentlich „Onkel Emil“?

Treff: 10:30 auf dem S-Bahnhof Südende (S 2; S 26)

Dauer ca. 2 Std.

Preis inkl. Führung 5,-€

 

Heute geht es rund um eine für die damalige einmalige Siedlungsanlage zwischen Steglitzer Damm, Immenweg und Munsterdamm – die 1931/32 entstandene „rauchlose Siedlung“.

Erstmals gab es hier keine Schornsteine, nicht einmal aus Zentralheizungen, sondern den Anschluss an ein Fernwärmenetz.

Auch die sog. Zwischenbauten oder Verbindungsbauten am Immenweg gehörten zum städtebaulich interessanten Konzept.

Die inzwischen fast berühmt berüchtigte „Deutsche Wohnen“ schreibt Eigentumswohnungen im Leerstand (2 bis 3 – Zimmer-Wohnungen zwischen 56 – 67 m² für 2.200 bis 2.800 € je m²) aus. Man schreibt: Es handelt sich bei dieser Wohnanlage um Berlins erster „“Rauchlosen Siedlung““, diese wurde zwischen 1930 und 1934 in 4-geschossiger Bauweise errichtet. Ihren Namen erhielt die Siedlung durch den Anschluss an ein Fernheizwerk. Als gelungenes Architekturbeispiel der Neuen Sachlichkeit Ende der 20er Jahre steht das Wohnensemble heute unter Denkmalschutz.

Der eigentliche Kern der denkmalgeschützten Anlage entstand 1930-31 nach Entwürfen von Paul Mebes & Paul Emmerich (die meist in Büroeinheit wirkten) sowie Heinrich Straumer.

Wir beginnen unseren Rundgang auf dem S-Bahnhof Südende.

Südende als Villenkolonie ging überwiegend bei einem groißen Bombenangriff im Jahre 1943 unter. Nur noch wenige einzelne Gebäude blieben erhalten, zum Beispiel kommen wir an der Villa vorbei, in dem sich heute die Steglitzer Musikschule befindet.

Wir erreichen die ersten Zeilenbauten der „rauchlosen Siedlung“ am Kottesteig. Gegenüber den „Rauhen Bergen“ erreichen wir die Straßenbauten am Munsterdamm, dann gelangen wir wieder zum Steglitzer Damm und zum Immenweg, am Oberstufenzentrum für Mediengestaltung erreichen wir die Kleingartenanlage Schutzverband.

Folgende Zeilen stammen von der Website des Vereins selbst

 

An Straßen und Bauten vorbei

das triste städtische Einerlei

da seh‘ ich eine grüne Oase

geschmückt wie eine bunte Vase

mit Bäumen und Rasen und vielen Blumen

nicht erwartet so ein großes Volumen

für jeden geöffnet ohne Kosten

wird mancher eingeladen zum Verkosten

die Kolonie Schutzverband mein Idol

hier bin ich heimisch, hier fühl ich mich wohl

 

Vom weiten erkennen wir den alten Steglitzer Wasserturm, der 1916-19 auf dem Friedhof an der Bergstraße entstand, dem wir vor nicht allzu langer Zeit einen Besuch abgestattet haben.

Auf dem Friedhof war uns auch das Grab von Leo Borchard, der gleich noch eine Rolle spielen wird.

Ausgangs der KGA gelangen wir in die Walsroder Straße, hier setzt sich die rauchlose Siedlung, wenn auch nicht mehr einheitlich erhalten und damit nicht unter einheitlichem Denkmalschutz stehend, fort. Die Reihenhäuser, die von der Walsroder Straße abgehen, liegen am Hünensteig und grenzen mit ihrer Stirnseite direkt an den Steglitzer Friedhof. Man kann sich gut vorstellen, wie der russische Komponist Leo Borchard während der Nazizeit im Schutze des Friedhofs leise die Tür der Nummer sechs geöffnet hat, um die Mitstreiter seiner Widerstandsgruppe „Onkel Emil“ hereinzulassen.

„Die Siedlung war die erste in Deutschland, die über eine Zentralheizung sowie fließend warmes Wasser verfügte“, berichtet Wolfgang Holtz, „das war damals eine echte Sensation!“ , der ehemalige Museumsleiter des Heimatvereins Steglitz – Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/15085636 ©2018.

Weil man zwischen Bismarckstraße und Munsterdamm vergeblich nach den von Brennholz rauchenden Schornsteinen suchte, bekam die Siedlung ihren ungewöhnlichen Namen. „Die Wohnungen in der rauchlosen Siedlung verfügten meist nur über zwei oder zweieinhalb Zimmer und waren daher nur für wenige Personen geeignet“, berichtet Holtz. „Aber da sie von der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Heimat, der späteren Gehag, erbaut wurden und deshalb vergleichsweise günstig waren, zogen nach dem Krieg auch Flüchtlinge mit großen Familien dort ein.“ Heute sind viele Wohnungen privatisiert und stehen teilweise zur Miete frei. Ohne Nebenkosten bezahlt man um die 320 Euro für eine Zweizimmerwohnung mit 55 bis 60 Quadratmetern Wohnfläche. Das dürfte nun wohl auch der Vergangenheit angehören!

Damals waren diese lichtdurchfluteten Mietwohnungen echte kleine Perlen“, sagt Holtz. Heute muten die Reihenhäuser in ihrem einheitlichen Grau nicht mehr ganz so einladend an. Aber der Friedhof mit seinem imposanten Wasserturm, den vielen alten Bäumen und bewachsenen Grabstätten macht aus den einfachen Mietshäusern eine besondere Siedlung, die über einen eigenen „Park“ in der direkten Nachbarschaft verfügt.

Und wer war oder was war nun „Onkel Emil“?

Eine Berliner Widerstandsgruppe im Dritten Reich. Laut wikipedia/Weiße Rose-Stiftung war sie nicht ideologisch, sondern humanitär motiviert und bestand vorwiegend aus Journalisten, Ärzten und anderen Intellektuellen.

Die Gruppe fand sich im Winter 1938 um die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich und den Dirigenten Leo Borchard zusammen. Zur Stammgruppe gehörten laut Tätigkeitsbericht der Gruppe weiterhin die Tochter Karin Friedrich, der Schriftsteller Fred Denger, der Arzt Josef Schunk und der Facharzt Walter Seitz. Es gab eine Anzahl weiterer aktiver Mitarbeiter.

Sie wurde nach ihrem Warnruf benannt und half in einer Art privatem Netzwerk unter hohem persönlichen Risiko verfolgten Juden mit Verstecken, Verpflegung und Papieren. Außerdem unterstützte sie die Familien politisch Verfolgter und verbreitete Flugblätter der „Weißen Rose“.

Die Gruppenmitglieder Ruth Andreas-Friedrich und Karin Friedrich wurden mit der Yad Vashem-Medaille als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.

Eine Gedenktafel befindet sich am ehemaligen Wohnhaus der Gründerin in Steglitz, Hünensteig 6. 2012 veröffentlichte die Weiße Rose Stiftung eine umfangreiche Ausstellung zur Widerstandsgruppe Onkel Emil.

In einem Café an der Ecke Steglitzer Damm/Worpsweder Straße bietet sich eine abschließende Rast an.

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