23.4.18 Berliner Straßen: Die Grabbeallee

Treff: 10:30 Uhr Straßenbahn/Bus-Hast. Bürgerpark (zur Ankunft Tram M 1, S+U Schönhauser Allee ab 10:17)

Dauer ca. 2 Std.

Preis inkl. Führung 4,-€

Die Grabbeallee, vormals „Lindenstraße“, davor „Weg nach Schönhausen“ ist heute eigentlich nur eine Durchgangsstraße auf dem Weg der Bundesstraße 96 a von Pankow Richtung Niederschönhausen und in Folge dessen Richtung der Autobahn, z.B. Mühlenbeck. Auf ihren 994 Metern scheint sie auf dem ersten Blick wenig Interessantes zu bieten, dabei ist sie geschichtsträchtig und spiegelt einen großen Teil der Geschichte von Niederschönhausen, jenem Ortsteil am bzw. beim Schloss Schönhausen, der leider oft nur unter „Pankow“ oder gar „Pankoff“ subsimiert wird. Alte Zeichnungen bzw. Fotos zeigen die Pankebrücke beim Bürgerpark, als diese Gegend noch ein verkehrsarmes Idyll war.

Heute kennt man die Grabbeallee aus manchen Staumeldungen und beim gelegentlichen Überschreiten, leider gibt es nur am Anfang und Ende der Straße eine Fußgängerampel, brauchen wir etwas Mut. Ich weise Sie ausdrücklich auf Ihre Eigenverantwortung hin! Fast bin ich geeignet, Haftungsverzichtserklärungen wie beim Betreten einer Munitionsverdachtsfläche auszuteilen….

Beginnen wir in der Geschichte. Im 19. Jahrhundert hatte sich Niederschönhausen, auch unabhängig von der nahe liegenden Schönholzer Heide, zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt, entlang des „Weges nach Schönhausen“ vom Bürgerpark vorbei an den „Schönhauser Fichten“ befanden sich Ausflugslokale, auf die wir noch eingehen werden.

Erst auf einem Messtischblatt von 1872 sind einige bebaute Gehöfte zwischen Zingergraben und dem heutigen Pastor-Niemöller-Platz zu verzeichnen. Dort hinten sind einige bescheidene Reste noch erhalten.

Damals entstand durch eine Terrain-Gesellschaft ein erster „Bebauungsplan für das Terrain vor dem königlichen Schloss zu Niederschönhausen bei Berlin“, ihm wurde der Name „Bismarcks Ruhe“ gegeben. Ca. 130 bis 150 Villen sollten entstehen, mit exakten Vorgaben zur Gestaltung, Grundstückstiefe, Vorgärten, Einfriedungen etc.

Einiges davon ist nie verwirklicht worden, ein Blick auf den Plan im „Mitteilungsblatt“ des Freundeskreises der Chronik Pankow e.V. „Die Grabbeallee in Berlin-Pankow“ (auch hier leider wieder die Ungenauigkeit, die mich als Niederschönhausener schon immer geärgert hat), zeigt die gewaltige Dimension dieser Planungen und einige bist heute erkennbare Straßenzüge.

Ab 1904 entstanden dann auch Straßen auf dem Gebiet der „Schönhauser Fichten“ auf der linken Seite des „Weges nach Schönhausen“ zwischen Pankebrücke und Zingergraben, deren Namen erinnerten bzw. erinnern an den Eigentümer der Fläche, den Forstfiskus, und damit verbundene Persönlichkeiten, wie Cotta (Begründer der Forstakademie Tharandt) und Pfeil (erster Direktor der Forstakademie Berlin/Eberswalde), deren Bebauung mit kleineren Villen erfolgte aber erst nach dem ersten Weltkrieg, der Sportplatz – im Winter als Spritzeisbahn genutzt – wurde inzwischen leider zugunsten des Walter-Husemann-Sportplatzes aufgegeben und bebaut.

Das letzte erschlossene Gebiet an der jetzt „Lindenstraße“ genannten Straße war bis 1909 das der Paul-Francke-Siedlung.

Doch beginnen wir mit dem ersten Gebäudekomplex stadtauswärts gesehen rechts nach der Pankebrücke – das der evangelischen Wohnstätten „Siloah“. Die ursprüngliche „Irrenanstalt“ entstand 1881 auf Anregung des Hofpredigers Bauer und seiner Ehefrau in der Florastraße. Doch das dortige Häuschen wurde bald zu klein und so überließ 1884 Kaiser Wilhelm I. der jetzt „Rettungsanstalt“ genannten Einrichtungen das heutige Gebiet in der „Forst“ am Weg nach Niederschönhausen. Es entwickelte sich zu einem Asyl für sittlich verwahrloste, gefallene Mädchen, denen man eine christliche Erziehung angedeihen und die man in einen „geordneten und thätigen Lebenswandel zu führen“ gedachte, wie die Vorstandsvorsitzende des Mädchen-Rettungshauses, Maria Gräfin Pfeil schrieb. Das ganze stand „unter dem Allerhöchsten Protektorat… der Kaiserin und Königin Auguste Viktoria.“

Es begann mit 17 Pfleglingen und 1905 wurde die Höchstzahl von 103 erreicht. Auch Lina Morgenstern erwähnte die Einrichtung und deren Protektion durch die Kaiserin. Bis in die Zeit der Nazis und durch die DDR-Zeiten blieb die Einrichtung in ihrer Selbständigkeit, mit veränderten Klientels erhalten.

Nach 1945 wurden zunächst elternlose Jungen und Mädchen betreut, ab 1966 fungierte Siloah auch als Feierabendheim. Ende der 1960er Jahre zogen Kinder mit geistigen und teilweise auch körperlichen Behinderungen ein, nach der Wende gab es umfangreiche Um- und Ausbauarbeiten.

Auch auf die Rolle verdienstvoller Diakonissen sei hingewiesen.

Anschließend passieren wir die „Paul-Francke-Siedlung“. Diese hatten wir schon mal im Rahmen der Stadtwanderung entlang des Zingergrabens behandelt, auf einige Einzelheiten und manches hübsche Detail kann aber noch mal hingewiesen werden.

„Das Städtchen in Pankow“ war auch schon mal Thema eines Stadtspaziergangs. Leider wurde die einstige Siedlung der „DDR-Promis“ nicht unter Denkmalschutz gestellt und damit verschwinden immer mehr der historischen Objekte.

Spätestens jetzt sollte man die Straßenseite wechseln, ein Blick über die Brücke auf den Zingergraben lohnt auch mal wieder. Es folgen der „Lad-Klub“, ein Jugendklub, der jetzt auch schon eine eigene Geschichte hat, an seinen Ursprüngen hatte ich auch selbst noch Anteil, es folgen hier einige interessante historische Villen. An das Thema „Kindergärtner Friedrich Fröbel in Niederschönhausen oder auch nicht….“ wird an der Nummer Grabbeallee 43 a, b, c erinnert – heute ist das Gelände Sitz der Botschaft von Togo. Man kann aber herantreten.

Den Namen Grabbeallee erhielt die Straße übrigens erst 1936, kurz danach erfolgte deren Verbreitung und teilweise auch abschließende Bebauung (vorne links am damaligen Bismarckplatz, aber da kommen wir noch hin). Christian Dietrich Grabbe war ein Dichter, geboren 1801 in Detmold, 1836 gestorben dort selbst nach längeren Krankheitsjahren, geprägt durch Alkoholismus und Depressionen. Seine Theaterstücke galten, mit schnellen Szenenwechseln und Massenszenen, als schwer spielbar. Heinrich Heine, den er 1822 in Berlin kennen gelernt hatte, bezeichnete ihn als den „betrunkenen Shakespeare“.

Naturalisten und Expressionisten entdeckten Grabbe wieder, die Nazis versuchten ihn als nationalen Dichter zu vereinnahmen.

Apropos „betrunkener Shakespeare“, das nächste zu beachtende Gebäude steht für einen nicht mehr ganz so jungen Mann, der mit Eierlikör malt und seinen Gästen auch mal einen einschenkt und der mit dem Sonderzug nach Pankow, in diesem Fall im März 1915 auch in das „Ballhaus“ in Niederschönhausen fuhr – gemeint ist natürlich Udo Lindenberg. Lange vor dem „Sonderzug“ wurden seine frechen Sprüche auch von uns Jugendlichen in Niederschönhausen aufgesogen….

Wir schauen uns kurz auf dem Gelände um, das Ballhaus scheint wieder einmal in einen Dornröschenschlaf versunken zu sein, oder ?

Um 1880 hatte hier an der damaligen Lindenstraße 11 der Gastwirt August Lehder sein Ausflugslokal „Lindengarten“ errichtet, nicht zu verwechseln mit dem späteren gleichnamigen Lokal an der heutigen Grabbeallee 70. Ab 1892 wurde die Anlage zum Ballhaus ausgeweitet, das „Restaurant zum Schloss Schönhausen“ wurde als das schönste Ballhaus des Berliner Nordens beworben. 1930 wurde es zu einem Vereins- und Tanzlokal umgestaltet, aber 1933 schon eingestellt und 1939 kam die „Grabbeallee 53“ im Rahmen einer Versteigerung an eine Maschinenfabrik. Deren Nachfolger und eine Bauschlosserei nutzten das Gelände bis zur „Wende“, unter anderem als Lager.

Die heutige Tschaikowskystraße war einst die direkte Verbindung zwischen dem Schloss Schönhausen und der Schönholzer Heide resp. der Colonie Schönholz und trug den Namen „Charlottenburger Weg“. Mit der Bebauung um 1900 erhielt sie den Namen Kaiserin-Augusta-Straße, nach 1945 erfolgte die heutige Benennung. Leider sind die schönen Eckgebäude einem großen Bombenangriff im März 1945 zum Opfer gefallen.

Im sich anschließenden Bereich geht es ein wenig um die Geschichte der wenigen hier befindlichen Geschäfte, zu DDR-Zeiten gab es hier durchaus nützliches zum täglichen Bedarf, heute geht oder fährt man um die Ecke zum Discounter….

Die Feinbäckerei Schmidt, ein Lebensmittelgeschäft, Gemüsehändler, eine Fleischerei….

Das sich unter dem Nummer 70 auf der gegenüberliegenden Seite die Gaststätte „Lindengarten“ des 1896 hier nachgewiesenen Gastwirts Thieme, später ein Herr Schlak, dann ein Herr Cranz und schließlich der Actien-Gesellschaft Brauerei Moabit befand. 1906 tauchte ein Herr Stephan als Pächter auf. Im Saal und auf der Gartenbühne war Sonntagnachmittag Tingel-Tangel. Gastwirt Stephan engagierte Artisten und Vortragskünstler und ab Ende 1911 gab es Kino. Es war bereits das zweite Kino in Niederschönhausen. Im Januar 1911 war im Festsaal der Gaststätte „Gesellschaftshaus Thiele“ das erste eröffnet worden, es besteht heute noch bzw. wieder als „Blauer Stern“.

Die Filme waren damals kurz – nach zehn Minuten Spielzeit folgten sieben Minuten Pause zum Verkauf von Bier, Limonade, belegten Brötchen….

Stephan selbst bezeichnete sein Etablissement als „vornehmstes und größtes Theater der nördlichen Vororte“. (Das Café „Größenwahn“ stand aber doch woanders – der Verfasser!)

Im Mai 1918 begann man mit Reparaturarbeiten, machten aber nie wieder auf.

Etwa 1923 machte das Ausflugslokal, es folgten auf dem Gelände eine Möbelfabrik und eine Tischlerwerkstatt….

Von weitem erkennen wir den früheren Bismarckplatz, zu „unseren“ Zeiten „Kurti“ von Kurt-Fischer-Platz genannt, heute Pastor-Niemöller-Platz und Schlusspunkt der Grabbeallee.

Rechterhand sind noch die letzten alten Gehöfte im Ansatz erkennbar, auf der linken Seite stehen Wohngebäude aus den 1930er Jahren. Damals war hier der vorletzte Umbau der Eingangssituation zum „Bismarckplatz“ erfolgt.

Einst stand hier aber das älteste Gartenrestaurant in der „Lindenstraße“. Settekorns Gartenrestaurant, zeitweise auch „Waldschlösschen“ bot eine große Rummelwiese, auf der es auch Erntefeste gab. Nach dem Tod des Gastwirts 1903 führten seine Witwe und sein Sohn das Haus bis in den ersten Weltkrieg weiter, dann lag das Gelände lange brach, zeitweise gab es Kioske, bis man die Straße verbreitete, den „Bismarckplatz“ vergrößerte und 1937/38 den Wohnkomplex errichtete.

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